Fazit/ Ausblick

Die Projektergebnisse zeigen, dass bei den derzeit vorherrschenden hohen Rehwilddichten einzig eine Umstellung der Bejagungsstrategie zum Ziel führt. Nur mit einer konsequenten Rehbejagung in den Revieren ist derzeit eine diverse Wiederbewaldung möglich. Die Umstellung auf eine zeitgemäße Jagd ist also nicht nur Stellschraube, sie ist die Grundvoraussetzung zur Etablierung landesweiter, klimastabiler Wälder außerhalb von Zäunen.

Auch in einzelnen Waldrevieren durchschnittlicher Größe kann eine entsprechend angepasste Jagd zu einer deutlichen Verringerung der Wald-Wildschäden durch Rehwild erreicht werden. Während in den meisten konventionell bejagten und gehegten Revieren mit hohen Rehwilddichten derzeit keine artenreiche Wiederbewaldung aus Naturverjüngung gelingt, kann in Revieren mit konsequenter Rehbejagung erreicht werden, dass sich die meisten Arten der potentiell natürlichen Vegetation verjüngen können. Auf Kalamitätsflächen kann in diesen Revieren ein artenreicher Wald, auch ohne jede Pflanzung, entstehen.

Doch die Umstellung der Jagdpraxis auf eine erfolgreiche Jagd, bei der mit dem Ziel gejagt wird, dass sich künftig alle Pflanzenarten im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen verjüngen können, bedeutet eine weitreichende Abkehr von der traditionellen Hegejagd. Reviere, auch von durchschnittlicher Größe, können auch nicht von einem Pächter alleine erfolgreich bejagt werden. Es reicht eben nicht, im Herbst „das eine oder andere Schmalreh mehr“ zu schießen. In den Revieren, die durch Veränderung der Jagdstrategien erfolgreich waren, mussten die Rehwildstrecken - zumindest über ein paar Jahre - i. d. R. um das Drei- bis Fünffache erhöht werden. In den im Projekt beteiligten Revieren konnte das fast ausschließlich in eigener Regiejagd oder in konkret geregelten Pirschbezirken erreicht werden. Beispiele von Gemeinschaftlichen Jagdbezirken, in den langjährige Pächter „den Schalter umgelegt“ und plötzlich effizient und mit Fokus auf den Wald gejagt hätten, wurden nicht bekannt.

 

Oftmals wird, von Verpächtern, Waldeigentümern und Jägern, unterschätzt, wie hoch der jagdliche Aufwand - z. T. bis zum achtfachen gegenüber dem konventionellen Jagdbetrieb - sein muss und wie hoch die Rehwildstrecken sein müssen, um wirklich eine spürbare Verbesserung der Waldschadensituation zu erreichen. An die verantwortlichen Jäger werden sehr hohe Anforderungen gestellt (s. Handlungsempfehlungen). Ein erfolgreicher Jagdbetrieb setzt einen sehr hohen zeitlichen Aufwand und die Zurücknahme individueller Interessen des einzelnen Jägers (z. B. Trophäen oder große Reviere nur für sich selbst) voraus. Dieses Missverständnis führt immer wieder zu Irritationen und Missmut zwischen Verpächtern und Jägern, aber auch zu falschen Erwartungshaltungen. Als Beispiel: In einem Revier, in denen jahrelang etwa sechs Rehe pro 100 Hektar geschossen wurde, einigen Verpächter und bisherige Jäger sich auf einen Abschuss von künftig zehn Rehen pro 100 Hektar. Die Verpächterseite erwartet nun deutliche Verbesserungen der Waldverjüngung, die Jäger widerum oft Unterstützung durch die Jagdgenossen in Form von Pachtminderung, Freihalten von Schussschneisen, zur Verfügung stellen von Wildäsungsflächen etc.. Nach einigen weiteren Jahren der Zusammenarbeit muss man feststellen, dass sich die Wildschadensituation nicht verbessert hat, geschweige denn, dass nun ein artenreicher, vielfältiger Wald nachwachsen würde. Um dieses zu erreichen, wären vielleicht 15, 20 oder 25 Rehe pro 100 Hektar notwendig gewesen.  

Verpächter sind also darauf angewiesen, geeignete Jäger für ihre Reviere zu finden. Von der Vorstellung vom Jagdpächter als „Eier legende Wollmilchsau“, der viel Jagdpacht bezahlt, um dann einen schweren Dienst für die Jagdgenossen oder den Waldeigentümer zu leisten, muss man sich auf Verpächterseite verabschieden. Denn einer der größten Knackpunkte bei der Umstellung der Jagdstrategie ist es für Verpächter, geeignete Jäger bzw. Jagdteams zu finden. In erfolgreichen Forstbetrieben sind es oft engagierte und jagdlich sehr passionierte Förster, die als Jagdleiter in der Regiejagd mit einem Jagdteam aus meist örtlichen Jägern erfolgreich sind.

 

Die ersten Jahre nach Umstellung der Jagd ist zwar sehr arbeits- und zeitintensiv, die Jäger können aber zunächst „aus dem Vollen schöpfen“ und der regelmäßige Jagderfolg entschädigt für manche Mühe und finanziellen Beitrag. Wenn sich nach mehreren Jahren effektiver Jagd die Strauchschicht im Revier allmählich mit zahlreichen Strauch- und Baumarten schließt, beginnt die Jagd „lästiger“ zu werden. Der Aufwand für ein erlegtes Reh steigt weiter und es kommt jetzt häufig vor, dass Ansitz oder Pirsch ohne jeden Anblick bleiben. Neben Demut werden den Jägern nun auch noch bessere jagdliche Fertigkeiten abverlangt. Eine effektive Schalenwildbejagung auf bereits konsequent bejagtes Wild in artenreichen, naturverjüngten und damit deckungs- und äsungsreichen Wäldern ist die vielleicht größte Herausforderung, vor der die Jägerschaft steht.

 

Das Jagen mit Hunden wird künftig noch bedeutend wichtiger werden, v. a. wenn die Kalamitätsflächen in wenigen Jahren ins Dickungsstadium gewachsen sein werden. In Zukunft wird die Diskrepanz zwischen dem „Angebot“ geeigneter Stöberhunde und der „Nachfrage“ daher aller Voraussicht nach noch größer werden, als sie jetzt schon ist.

 

Ausblick

Die Jägerschaft steht vor der großen Herausforderung, das stete Anwachsen der Schalenwildbestände in deckungsreicher werdenden Wäldern nicht nur zu stoppen, sondern ihre Grundbestände auch zu reduzieren. Dies ist bislang nur in sehr wenigen Revieren mit effektiven Jagdstrategien gelungen, die mit der herkömmlichen Hegejagd nicht zu vergleichen ist. Die waldorientierte, konsequente Bejagung eines Revieres ist nicht nur von der Zielstellung her völlig anders, sondern auch um ein Vielfaches aufwändiger als der konventionelle Jagdbetrieb. Trotzdem werden künftig immer mehr Reviere ihre Jagdstrategie von der herkömmlichen Hegejagd auf eine wildschadenorientierte Bejagung der Reviere umstellen. Es mangelt aber, so die Erfahrungen aus dem Netzwerk, an Jägern, die eigenständig und erfolgreich Reviere bejagen können. Als Konsequenz dieser Erkenntnis und Folge des Rehwildprojektes sollen Fortbildungen für Jäger eingerichtet und angeboten werden, bei denen Jäger für die Waldjagd vorbereitet werden. Im Laufe der Projektlaufzeit wurden bereits jährlich Klettersitzseminare im Forschungsrevier oder Netzwerkrevieren angeboten. Auf diesen Seminaren wird die sichere Verwendung von Baumklettersitzen mit erfahrenen „Klettersitzern“ praxisbezogen geübt und die Teilnehmer erhalten mit der Teilnahmebescheinigung den Nachweis für die Berufsgenossenschaft, dass sie befähigt sind, Klettersitze jagdlich zu nutzen.

 

Um mehr Jäger in die Lage zu versetzen, ein Revier oder Pirschbezirk eigenständig so zu bejagen, dass Wald-Wildschäden tatsächlich vermieden werden, wurde von ARTEMIS, der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäßer Waldbau (ANW) und dem Ökologischen Jagdverein NRW (ÖJV-NRW) eine einwöchige Fortbildung zum „Waldjäger“ entwickelt. Auf den Lehrgängen wird den Jägern nicht nur vermittelt, wie ein effektiver Jagdbetrieb im Waldrevier organisiert und durchgeführt wird, es werden auch Methoden gelernt, wie Verbissschäden erkannt und beurteilt werden können. Die Fortbildungslehrgänge werden mit Partnern aus der privaten Forstwirtschaft, dem Landesbetrieb Wald und Holz NRW, einigen Städten und Kommunen sowie der ANW in verschiedenen Bildungseinrichtungen bzw. Betrieben in NRW durchgeführt (s. wildoekologie-heute/waldjäger). Die Fortbildung zum „Waldjäger“ soll auch bundesweit mit den Partnern ANW und ÖJV etabliert werden. Absolventen des Lehrgangs sollen künftig bei der Vergabe von Waldrevieren der Projektpartner bevorzugt berücksichtigt werden.

 

Das Netzwerk Vorbildliche Rehwildreviere wird fortbestehen und um weitere Reviere, die in den vergangenen Jahren erfolgreiche Jagdstrategien umgesetzt haben, erweitert.

 

Künftig werden mehr Reviere aus der privaten Forstwirtschaft so vorausschauend handeln und ihre Reviere unentgeltlich von geeigneten Jagdteams bejagen lassen, wie es der Gräflich von Spee’sche Forstbetrieb Heltorf in einem besonders von der Kalamität betroffenem Revier im Bergischen Land bereits getan hat. Hier hat das Jagdteam den Auftrag, das Rehwild in den nächsten Jahren so zu bejagen, dass die Flächen sich artenreich verjüngen können. Bislang kann sich im Revier, wie in vielen anderen Revieren auch, nur Fichte, Birke und wenig Buche verjüngen. Der Eigentümer hat die jagdliche Infrastruktur (40 Hochsitze) finanziert und verzichtet auf sämtliche Jagdeinnahmen. Wird die Bejagung ohne jeden Zaunbau erfolgreich (, was durch Verbissaufnahmen und Weisergatter kontrolliert wird) und es etablieren sich auf ganzer Fläche alle Zielbaumarten, so ist der Nutzen (artenreiche, üppige Waldverjüngung) um ein Mehrfaches höher als die entgangenen Einnahmen der Jagdpacht. Eine Win-Win-Situation, von der besonders der Waldbesitzer profitiert.   

Nur Jäger, die jetzt sofort und kompromisslos handeln, werden in den geschädigten Waldrevieren erfolgreich sein. Diese sollten mindestens belohnt werden (Bonuszahlungen, Rabatt bei Abschusserfüllung, kostenfreie Wildbretübernahme etc.). Besonders qualifizierte Jäger, die den Jagdbetrieb in Waldrevieren eigenverantwortlich leiten und erfolgreich sind und damit eine Dienstleistung gegenüber dem Eigentümer bzw. den Jagdgenossen erbringen, dürfen künftig auch für ihre Arbeit entlohnt werden. 

Interessierte, aufgeschlossene Jäger sollen ermutigt werden, unsere Wälder durch eine veränderte Jagd wirksam vor Wildschäden zu schützen und dadurch eine artenreiche Wiederbewaldung der Kalamitätsflächen zu ermöglichen. Sie sind eingeladen, sich auf Exkursionen in den Netzwerkrevieren (www.wildoekologie-heute.de/netzwerk) zu informieren und sich auf Seminaren und Lehrgängen fortzubilden. Um bald hoffentlich selbst ein Waldrevier zum Wohle von Wald und Wild zu bejagen.    


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